Kino im Kopf: Vom Plotten, Pantsen und Switchen und was es mit dem roten Faden auf sich hat
Als ich mich vor einigen Jahren erstmals an einen Roman heranwagte, hatte ich viele Fragen! Eine Sachbuchautorin, die das Arbeiten mit vorher konkreten Inhalten und festen Strukturen gewöhnt ist, hat in der Regel nämlich keine Ahnung, ob – und wenn ja, wie – sich diese Herangehensweise an ein Thema auf einen belletristischen Text umlegen lässt.
Gespannt, was ich von einem Profi erfahren würde, traf ich mich mit einem bekannten Schriftsteller, der mir Expertentipps geben und mich in die Geheimnisse des Schreibens schöngeistiger Literatur einweihen sollte. Neben den erhaltenen allgemeinen Informationen, dass ich mich beispielsweise vorab für einen bestimmten Stil sowie Zeit- und Erzählform entscheiden müsste, prallten die Worte „Plot“, „Charakterkarten“ und „Storyboard“ sowie die Erklärungen dazu an meinen Geist … und von dort wieder ab. Doch ich entschied, widerwillig, aber doch – und vor allem bereit, zu lernen – nachzufragen, was es damit auf sich hätte.
So erfuhr ich also, dass es sich beim Plot um ein Handlungsgerüst handelt, mit dem strukturierte AutorInnen arbeiten. Auf diese Weise wird von Seite 1 bis Seite 375 (ja, die Seitenanzahl steht meist auch schon vorab fest) der gesamte Roman durchgeplant, die Geschichte quasi an einen roten Faden geknüpft, an dem man sich dann beim Schreiben entlanghangelt. Dazu gibt es ergänzend Karten, auf welchen neben dem optischen Erscheinungsbild vor allem die Eigenschaften der ProtagonistInnen und AntagonistInnen, vermerkt sind, sowie ein Storyboard, auf dem der Ablauf samt Kapitelstruktur skizziert und der Spannungsbogen grafisch dargestellt wird.
Genial, dachte ich mir nach der anfänglichen Ablehnung eine detailreiche Erläuterung des Fachmanns später, diese Vorgehensweise kommt mir sehr entgegen, bin ich doch diese Art des durchorganisierten Schreibens mit inhaltlicher Einfassung vom Sachbuch gewohnt – auch wenn es sich beim Plot weniger um einen geistigen Rahmen, als vielmehr um ein Regal mit bereits von Anfang an befüllten Fächern handelt.
Ich brannte nach dem Treffen dennoch darauf, mit meinem ersten Roman loszulegen, war ich doch nun bestens mit den Expertentipps eines Belletristik-Profis versorgt und dem passenden Handwerkszeug ausgestattet worden.
Doch schon bald stellte ich fest: Ich bin kein Plotter! Ich bin ein Pantser (nein, den Ausdruck kannte ich vorher ebenfalls noch nicht)!
Die Personen tauchen bei mir einfach auf (ich beginne nur mit einem einzigen Protagonisten oder einer Protagonistin) und entwickeln sich im Laufe der Geschichte, wodurch es immer wieder zu unvorhergesehenen Wendungen kommt. Aufgrund dieses Eigenlebens, der Selbstständigkeit und auch Unberechenbarkeit der HandlungsträgerInnen würde beim Pantser ein roter Faden schon nach kurzer Zeit ausfransen oder reißen, und man müsste ihn wieder zusammenbinden oder mit einem violetten, weißen oder rosafarbenen Faden neu verknotet. Auch der geplante Spannungsbogen wäre rasch hinfällig, wenn sich die Leute Zeit lassen oder dann doch überstürzt agieren.
Natürlich gibt es auch bei mir Notizen, die ich mir am Rande der Story mache, etwa wie die Personen aussehen, wie alt sie sind und was sie unbedingt erledigen müssen oder nicht vergessen dürfen. Darüber hinaus existiert ein Zeitablauf, weil man sonst im Überschwang der Schreiblust die Orientierung verliert und plötzlich nicht mehr weiß, welcher Tag gerade ist – das passiert mir schon im echten Leben oft genug.
Gegen Ende des Romans werde ich vom Pantser zum Switcher und plotte: Ich arbeite alles durch, überlege, wie meine Fäden, die sich beim Schreiben selbst gewebt haben, zum Schluss zu einem schönen Strickmuster werden, tausche da und dort die Farbe aus und schneide lose Enden ab. Fertig!
Die Arbeit, die der Plotter vorne verrichtet, muss der Pantser hinten erledigen. Zeitersparnis spielt bei diesen verschiedenen Herangehensweisen an einen belletristischen Text keine Rolle.
Was ich mir beim Verfassen eines Romans aber nicht nehmen lassen möchte:
.) Ich will intuitiv schreiben können und mich nicht an eine Handlung gebunden fühlen, die ich mir Wochen oder Monate davor ausgedacht habe. Vielleicht finde ich sie schon Tage später langweilig. Außerdem: Lege ich schon alles fest, ehe ich mit der Geschichte beginne, fühlt es sich an, als wäre sie schon fertig, ich verliere die Lust, sie noch zu Papier zu bringen – eine Falle, die ich mir selbst nicht stellen möchte. Ich habe ein Recht darauf, dasselbe zu erleben, wie später der Leser: Kino im Kopf!
.) Meine Prota- und AntagonistInnen sollen mich überraschen dürfen, ohne dass ich sie und damit mich einschränke. Ich möchte die Charaktere beim Schreiben kennenlernen, miterleben, wie sie sich im Zusammenspiel mit den anderen HandlungsträgerInnen verhalten, wie sie sich aufgrund der Ereignisse entwickeln, welche Entscheidungen sie treffen … und ihnen nicht schon am Beginn des Romans Zwangsjacken verpassen. Sollten sich die Personen verselbstständigen, kann ich immer noch eingreifen und sie zur Räson bringen.
.) Anstatt an einem roten Faden entlang, hangle ich mich lieber von Szene zu Szene und entscheide spontan, was passieren soll, weil sich manche Dinge eben anders entwickeln als gedacht. So wie im echten Leben halt auch: Der Mensch plant, und das Schicksal lacht sich schlapp. Soll es das Schicksal in einem Roman etwa nur am Papier, aber nicht zwischen den Zeilen geben? Natürlich ist man als Pantser manchmal gezwungen, vorne etwas umzuschreiben, weil sich hinten etwas ändert. Und nur das unterscheidet eine Geschichte von der Realität, in der man die Vergangenheit nicht ungeschehen machen kann, wenn es in der Gegenwart anders läuft, als erwartet.
Fazit: AutorInnen müssen ihren eigenen Weg finden, Geschichten zu erzählen: ob entlang eines roten Fadens oder blindlings hinein ins Abenteuer.